Miroloi by Köhler Karen

Miroloi by Köhler Karen

Autor:Köhler, Karen [Köhler, Karen]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Hanser
veröffentlicht: 2019-08-14T22:00:00+00:00


SECHSUNDSECHZIGSTE STROPHE

Die Schlange)

Merk dir den Weg, hat sie gesagt.

Wir steigen den Berg hoch, Mariah, der Esel und ich. Wir kommen beim Müller und den Mühlen vorbei. Wir kommen an der Minki-Yael-Stelle vorbei und gehen auf dem Bergrücken weiter. Wir hören einen Mann singen. Jannis taucht auf seinem Esel vor uns auf.

– Ich habe nicht gesungen!

– Natürlich nicht.

– Nein!

– Das wäre ja verboten.

– Ja, genau.

– Also habe ich nicht …

Mariah tätschelt sein Bein.

– Jannis, sing weiter.

Wir steigen auf der anderen Seite wieder abwärts und dann auf den nächsten Berg der Kette. Niemand hat uns aufgehalten. Kein Hirte kam uns hinterher.

– Mariah, warum hält uns niemand auf?

– Wenn sie uns finden, bringen sie uns zurück.

– Kommen wir dann an den Pfahl?

– Wir sagen, wir suchen Feuerholz. Solange ich dabei bin, passiert dir nichts, keine Angst. Nebenbei werden wir tatsächlich etwas Holz sammeln, wir werden es brauchen.

Von hier kann man das Dorf, kann man die Mühlen nicht mehr sehen, und mir ist, als gäbe es unser Schönes Dorf gar nicht mehr. Diesen Boden habe ich noch nie betreten. Der Tag, an dem ich weglief als Kind, da habe ich mich nicht umgeschaut, wusste nichts, war nur Angst, rannte nur immer weiter bergab. Jetzt habe ich Zeit, kann schauen und mir einen Kopf machen um alles, was ist. Jeder Schritt ein jungfräulicher Schritt auf einen von mir unbetretenen Boden. Jeder Blick unvertraut. Ich merke mir Felsen und gebe ihnen Namen. Knollnasenfelsen. Dickerbauchmannfelsen. Schreimundfelsen. Zweitanzendeköpfeberg.

Die Aussicht macht mir Vögel in der Brust, die mit ihren Flügeln nach meinen Knochen schlagen. Zu beiden Inselseiten können wir jetzt das Meer sehen. Das schöne, blaublaue Meer. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühle ich mich ruhig, in mir scheint alles wieder an seinem Platz. Keine Unordnung in der Herzrumpelkammer mehr. Nur die Schürze wie ein Kängurubeutel voll mit Heimlichkeiten, mit dem Messer, dem Feuerzeug, einem Männerwunschzettel und den Nachrichten von Yael.

Ich sammle trockenes Holz, das zwischen den Sträuchern liegt, alte tote Äste. Einen Stock mache ich zum Spinnenstock und zerteile mit ihm die Netze auf unserem Weg, damit ich nicht direkt in die Spinnen laufe. Die sind so eklig, wenn du sie abbekommst und sie dir sonst wohin krabbeln, manche so groß wie eine Kinderhand. Mariah nimmt für eine Weile den Esel, ich gehe hinterher und spiele, dass ich ein Spinnengott bin. In der Ferne sehe ich auf einmal Land, oder ist das Dunst?

– Mariah. Schau. Da. Siehst du das?

– Unsere Nachbarinsel. Man kann sie nur erkennen, wenn es klar ist.

– Wohnen da auch Menschen?

– Wenn es dort Wasser gibt, vermutlich schon, mein Mädchen.

Die Mittagssonne macht uns zu schaffen. Wir setzen uns in den Schatten eines Felsvorsprungs. Es ist gerade genug Platz für uns und den Esel. Danke Fels, denke ich. Wir trinken Wasser, der Esel, Mariah und ich. Wir essen ein paar Oliven, der Esel bekommt eine Rübe.

Mariah spuckt ihre falschen Zähne aus und steckt sie sich in die Schürzentasche. Wir dösen eine Weile, lassen uns den Schweiß trocknen, dann brechen wir wieder auf.

Zuerst war die Welt



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